32. Sonntag im Jahreskreis
12. November 2023
Johanneskirche
Mit den Amtsleitern unserer Diözese haben wir vor einigen Jahren eine Studienreise unternommen. Nach Erfurt. Wir haben uns die Stadt angeschaut, auch den eindrucksvollen Dom. Über dem Eingangstor in diesen Dom befindet sich – wie bei vielen anderen berühmten Portalen – eine Darstellung des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen. In Stein gehauen. Rechts die fünf klugen Jungfrauen, links die fünf törichten.
Noch lebendig in Erinnerung sind mir die Gesichter dieser Figuren. Die klugen Jungfrauen haben ein Strahlen in ihren Gesichtszügen, ein Lächeln, Freude. Eine von ihnen schaut sogar richtig witzig drein. Und auf der anderen Seite die Gesichter der Törichten: Entsetzt, traurig, nachdenklich, schwer, enttäuscht. Wunderbar, wie Steine so lebendig werden können! Wunderbar, wie in steinernen Gesichtern so viel Lebendigkeit und Botschaft stecken kann!
Für die Menschen, die weder lesen noch schreiben konnten, die der Botschaft der Bibel in Bildern und figürlichen Darstellungen begegnet sind, war die Aussage eindeutig und klar. Wie auch für uns, die wir heute diese Figuren anschauen. „Ich möchte zu denen auf der rechten Seite gehören! Ich möchte auch etwas zum Lachen haben und zum Fröhlichsein!" Die klugen Jungfrauen ziehen an. Sie laden ein, sie erhellen den Blick und das Herz. Die Gesichter der törichten Jungfrauen haben wenig Anziehungskraft.
Was die Gesichter der klugen Jungfrauen zum Strahlen bringt, ist nicht irgendein Witz oder eine fröhliche Geschichte. Es ist die Begegnung mit dem Bräutigam. Das geglückte Ziel ihres Lebens. Das Strahlen in ihren Augen spiegelt das Strahlen der Augen des Bräutigams wider. Es ist also nicht ihre Leistung, ihr Verdienst. Zuallererst sind sie beschenkt und erfüllt von dem, auf den sie gewartet haben. Es ist wie mit dem Mond: Der Mond erhält sein Strahlen von der Sonne. Nur weil die Sonne den Mond anleuchtet, kann er zum Leuchten kommen und bekommt sein strahlendes Gesicht.
Und dennoch: Zu diesem ganz und gar nicht leistbaren und zu verdienenden Lächeln, das immer ein Geschenk des Herrn ist, braucht es auch etwas, das die Jungfrauen dazugeben. Und darin unterscheiden sich ja die klugen von den törichten Frauen. Die Zugabe des Menschen besteht in der Ölreserve. Sie einen haben sie, die anderen nicht. Und die Ölreserve deutet Jesus als Haltung der Wachsamkeit. „Seid also wachsam!" (Mt 25,13) Die Wachsamkeit ist jene Haltung, die wir beibringen können, damit der Herr unser Gesicht zum Strahlen bringt.
Eigentlich unterscheiden sich die zehn Jungfrauen ja nicht sonderlich voneinander: Alle zehn machen sich auf den Weg. Alle nehmen ihre Lampen mit. Als der Bräutigam sich verspätet, werden alle müde und alle schlafen ein. Und wieder sind es alle zehn, die aufwachen und sich auf den Weg machen. Es gibt ein nettes Wort von Karl Heinrich Waggerl in seinen Aphorismen: „Am auffälligsten unterscheiden sich die Leute darin, dass die Törichten immer wieder dieselben Dummheiten machen, die Gescheiten immer wieder neue." Also: In vielem sitzen alle in einem Boot, und wir mittendrin.
Was mich bei diesem Gleichnis besonders anspricht, ist die Schilderung, dass alle einschlafen. Auch die klugen Jungfrauen. Das Müdewerden und das Einschlafen sind so typisch für unser menschliches Unvermögen, so unverbraucht ehrlich. Wer bringt schon eine Dauer-Wachsamkeit für den Glauben oder für die wirklich wichtigen Dinge im Leben zusammen? Alle schlafen ein. Und das Einschlafen ist ja auch nicht das Problem, sondern die nicht eingeübte Grundhaltung der Wachsamkeit.
Zu dieser Wachsamkeit will uns Jesus im Gleichnis aufrufen. „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde." (Mt 25,13) Es ist gut, diese Frage immer wieder im Herzen zu bewegen: Wie kann ich in meinem Leben die Wachsamkeit einüben und leben? Wie wird das ganz konkret? Die Antworten werden unterschiedlich sein. Oder doch nicht? Vielleicht besteht ja die Grundhaltung der Wachsamkeit im Versuch, den Alltag mit all dem, was ihn ausmacht und prägt und belastet und durcheinanderbringt, im Inneren durchzubrechen auf das Ziel der Begegnung mit dem Herrn hin. Immer wieder sich neu auszurichten auf eine Dimension im Leben, die „dahinter" steht. Wachsamkeit einüben bedeutet demnach, die inneren Augen auszurichten und das Sehen zu schulen für die Wirklichkeit, die dahinter ist.
Schließen möchte ich mit einem Gebet von Silja Walter, einer Benediktinerin aus der Schweiz. Es trägt den Titel: „Gebet des Klosters am Rande der Stadt".
Jemand muss zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muss dich erwarten
unten am Fluss
vor der Stadt.
Jemand muss nach dir Ausschau
halten
Tag und Nacht.
Wer weiß denn, wann du kommst.
Herr,
jemand muss dich kommen sehen
durch die Gitter
seines Hauses,
durch die Gitter.
Durch die Gitter deiner Worte,
deiner Werke,
durch die Gitter der Geschichte,
durch die Gitter des Geschehens
immer jetzt und heute
in der Welt.
Jemand muss wachen
unten an der Brücke,
um deine Ankunft zu melden,
Herr,
du kommst ja doch in der Nacht
wie ein Dieb.
Wachen ist unser Dienst,
wachen.
Auch für die Welt.
Sie ist oft so leichtsinnig,
läuft draußen herum,
und nachts ist sie auch nicht
zuhause.
Denkt sie daran,
dass du kommst?
Dass du ihr Herr bist
und sicher kommst?
Jemand muss es glauben.
Zuhause sein um Mitternacht,
um dir das Tor zu öffnen
und dich einzulassen,
wo du immer kommst.
Herr,
durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, taten wir sonst?
Wir bleiben, weil wir glauben.
Zu glauben und zu bleiben
sind wir da, -
draußen
am Rand der Stadt.
Herr.
Und jemand muss dich aushalten,
dich ertragen, ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten, ohne an deinem Kommen
zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod aushalten
und daraus leben.
Das muss immer jemand tun
mit allen andern
und für sie.
Und jemand muss singen,
Herr,
wenn du kommst,
das ist unser Dienst.
Dich kommen sehen und singen.
Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust, die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist
und wunderbar wie keiner.
Komm, Herr!
Hinter unseren Mauern
unten am Fluss
wartet die Stadt
auf dich.
Amen
Silja Walter (1919-2011)
Die Predigt finden Sie hier auch als PDF.
GEISTreich - Diözese Innsbruck
ImpressumLinksammlungDatenschutzKontakt